Mut. Machen. Liebe. – Rezension

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Transparenzhinweis: Der Autor Hansjörg Nessensohn ist an uns herangetreten und hat uns gefragt, ob er uns seinen neuen Roman zuschicken könnte. Das gelesene Exemplar ist uns also geschenkt worden. Jedoch waren an dieses Geschenk keine Erwartungen geknüpft. Alle Meinungen in der Rezension sind also unsere und unbeeinflusst von Autor und Verlag.

Mark Forster hat einmal gesagt, dass man beim Wandern gut den Kopf freibekommen kann. Und genau deswegen wandert Paul gerade durch Italien – um den Kopf freizubekommen, um auf sein Leben klarzukommen. Er weiß zwar nicht so richtig, was am Ende dabei herauskommen soll, aber irgendwo auf dem Weg nach Rom wird ihm das schon klar werden – so die Theorie.

So beginnt der neue und dritte Roman des deutschen Autors Hansjörg Nessensohn: Mut. Machen. Liebe. Der Titel erinnert zwar zuerst an Böhmermanns „Menschen. Leben. Tanzen. Welt“; jedoch ist das Buch keineswegs nur eine leichte, seichte Sommerlektüre. Doch das wichtigste zuerst: Das Buch ist absolut lesenswert! – Aber nicht perfekt.

Erzählt wird auf zwei Ebenen, die recht geschickt miteinander verwoben werden. Jedoch, wie so oft bei Romanen mit zwei Erzählebenen, ist eine die deutlich stärkere. Die schwächere von beiden ist die Rahmenhandlung: Die dreht sich um den bereits erwähnten Ich-Erzähler Paul und seiner definitiv-nicht-Pilger-sondern-Wanderreise Richtung Rom. Gleich zu Beginn des Romans und seiner Tour trifft er Liz, eine alte Deutsch-Amerikanerin. Das Ganze mutet ziemlich schnell wie eine Mischung aus Hape Kerkelings Ich bin dann mal weg und dem bekannten, beliebten und leider auch etwas überstrapazierten Topos der ungleichen Freund:innen an. Relativ früh erscheint dieser Teil nur noch als Mittel zum Zweck, um die zweite Erzählebene zu transportieren – Liz erzählt Paul nämlich eine Geschichte. Dieser Eindruck entsteht vor allem, weil diese erste Ebene bei weitem nicht so gut und mit so viel Liebe für Handlung und Sprache gearbeitet ist, wie die Zweite. Nessensohn begeht unter anderem den gleichen Fehler wie einst schon Wolfgang Herrndorf: Er versucht Jugendsprache zu schreiben. Das gelingt eigentlich nie und wirkt an manchen Stellen geradezu (vielleicht klappt es bei mir ja?) cringy.

Aber – und hier kommt das große Aber: Die zweite Geschichte ist großartig! Und allein wegen dieser zweiten Geschichte verzeiht man Nessensohn (fast) alles, was auf der ersten Ebene schiefläuft. Liz erzählt Paul von Helmut, einem jungen Mann im Köln der 50er, der eigentlich alles hat: einen guten Job, mit dem er seine Mutter und Schwester unterstützen kann, eine Freundin, bald Verlobte, aus guten Haus, einen tollen Freund:innenkreis. Doch dann trifft er in einer Karnevalsnacht Enzo, einen jungen italienischen Gastarbeiter, und alles ändert sich. Helmut entwickelt Gefühle, die in den 50ern nicht sein dürfen, die verboten sind, die ihn im Gefängnis enden lassen könnten. Dieser herzzerreißende Teil des Romans ist zudem noch sprachgewaltig geschrieben. Der Wechsel der Erzählinstanz tun sowohl dem Roman als auch dem Autor gut, der – so scheint es – hier seine Stärken viel besser zur Schau stellen kann als im engen Rahmen der Ich-Erzählung. Kurz: In diesem Teil überzeugt Nessensohn auf ganzer Linie und versöhnt sich mit seiner Leser:innenschaft.

Dem Roman beigefügt ist ein Nachwort von Joachim Schulte, Sprechen von QueerNet Rheinland-Pfalz, der noch einmal den historischen Kontext für die Leser:innen aufbereitet. Dieses Nachwort ist für meinen Geschmack doch sehr kurz geraten und wirkt dadurch ein wenig unterkomplex und begrifflich wenig scharf. Aber sei’s drum.

Alles in allem ein lesenswertes Buch, wenn man bereit ist, der Rahmenerzählung die ein oder andere Schwäche zu verzeihen – es lohnt sich.

Hansjörg Nessensohn: Mut. Machen. Liebe. Roman: ueberreuter 2021; 341 S., 18,- €

TW im Buch: Suizid, Suizidversuch, verbale und physische Gewalt gegen queere Menschen